Ein Tag zum Weinen.

Bist du schonmal aufgewacht, und das einzige, was du an dem Tag vorhattest, war zu weinen? Hast du schonmal so viel geweint, bis du völlig leer warst? Bis du einfach nicht mehr konntest?

Bis heute kann sich die Wissenschaft eigentlich nicht erklären, wieso wir weinen. Es gibt verschiedenste Studien dazu, die sich alle mitsamt widersprechen. Eine Theorie besagt, dass Weinen eine Schutzfunktion des Körpers ist, welche dem Spannungsabbau und der besseren Verarbeitung emotionaler Eindrücke dient. Ehrlich? Fühlt sich irgendwer auf dieser Welt wirklich besser, wenn er weint? Kann irgendwer durch seine Tränen klarer sehen? Hast du schonmal so einen Schwachsinn gehört?

 

Tatsache ist, wir tun es. Wir weinen. Manchmal weinen wir um alles was wir verloren haben, um alles was wir niemals besitzen und erreichen werden. Wir weinen aus reiner Verzweiflung, weil weinen manchmal das einzige ist, das wir nunmal tun können. Wir sind nicht immer fähig zu schreien oder etwas kaputt zu schlagen.. aber weinen, das geht immer. Es bedarf oft nichtmal eines Lautes.. die Tränen kullern ganz von allein über unsere Wangen.

 

Manchmal brauchen wir das. Manchmal müssen wir einfach weinen. Weinen um eine verlorene Liebe, ein verlorenes Leben. Um verlorene Menschen, um einfach alles, was wir so sehr wollen und nicht (mehr) haben. Es geht nicht darum etwas oder jemandem nachzuweinen. Es geht darum zu trauern. Eine verlorene Zeit zu betrauern, die nie wieder kommen wird. Ein Gefühl zu betrauern, für das wir so lange kämpfen mussten und es schlussendlich doch wieder verloren haben. Zu betrauern, dass manchmal alles schief geht und man sich an nichts festhalten kann, außer an sich selbst. Traurig darüber sein, dass man dachte man macht alles richtig, nur um danach festzustellen, dass anscheinend doch alles falsch gewesen ist. Traurig darüber zu sein, dass manche den leichten Weg wählen, anstatt zu kämpfen - und man doch nur selbst der Angeschmierte ist.

 

Wir müssen uns nicht schämen. Wir dürfen es. Wir dürfen weinen. Wir dürfen traurig sein. Wenn wir etwas verlieren, ohne das Gefühl zu haben es betrauern zu müssen, so hat es wohl nie uns gehören sollen.

 

Und ja, ich schäme mich nicht es zuzugeben. Heute bin ich aufgestanden, um den ganzen Tag zu weinen. Ich weine heute um alles, was ich verloren habe. Familie, Freunde, Liebe, Bekannte, ein glückliches Leben. Ich weine um all das, was ich nicht sein konnte und was ich nicht war, weine darum, dass ich mich in Sicherheit wiegte, wo doch kein Netz gespannt war um mich aufzufangen. Ich weine um gemeinsame Abende auf der Couch, um Mensch ärgere dich nicht Spiele, um einen Vater, der mich liebt. Ich weine um meine Zukunftswünsche und -vorstellungen, um das Gefühl irgendwo hinzugehören. Ich weine um verpatzte Abende und sinnlose Diskussionen, die nicht stattfinden hätten sollen. Ich weine um Zärtlichkeit und Geborgenheit, um das Gefühl, wenigstens kurze Zeit Teil einer richtigen Familie gewesen zu sein. Ich weine um Sturheit und nicht vorhandene Kompromissbereitschaft. Aber vor allem weine ich über meine eigene, unvorstellbare, grenzenlose Blödheit. Und darum, dass man die Zeit nicht zurückdrehen kann, egal wie viele Tränen man deswegen vergießt.

 

Heute werde ich weinen. Und morgen.. ist ein anderer Tag.

Der Muskel des Lebens.

Der Mensch besteht aus Muskeln und Knochen, aus Organen, Sehnen, Nerven, Venen, aus Gliedmaßen und einem Rumpf. Wir haben Augen, mit denen wir sehen können, Ohren, mit denen wir hören können, eine Nase zum riechen, einen Mund zum schmecken und sprechen. Wir empfinden. Tausende Nervenbahnen geben an unser Hirn Reize weiter, die uns Schmerzen spüren lassen, Hunger, Durst, Wohlsein, krank sein. Wir empfinden manchmal so viel auf einmal, dass wir gar nicht wissen womit wir anfangen sollen. Wir fühlen manchmal so viel, dass wir denken, unser Herz zerspringt.

 

Und vielleicht ist genau das das Problem der menschlichen Rasse. Wir fühlen. Wir lieben, wir sorgen uns, wir hoffen und träumen. Wir sind ständig verletzlich - obwohl unsere Augen keine Gefahr wahrnehmen, unsere Nervenbahnen keine Empfindung von Schmerz an unser Hirn weiterleiten. Unser Herz ist das Problem. Es nimmt uns zu sehr ein. Es steuert unsere Entscheidungen, leitet uns auf unbekannte Pfade. Es will manchmal Dinge, die unser Hirn für mehr als bescheuert hält. Aber wir folgen ihm. Wir folgen unserem Herz - weil es das einzige ist, das wir für richtig halten. 

 

Hast du dir schonmal überlegt, dass dein Herz eigentlich nur ein Muskel ist? Dass du - genau genommen - Entscheidungen aufgrund eines Muskels triffst? Und wenn du Schmerz empfindest, obwohl du nirgendwo blutest, all deine Knochen heil und all deine Organe intakt sind .. dann leidest du aufgrund eines Muskels? Wir, die überlegene Rasse, die am weitesten entwickelten Herrscher dieser Erde ... wir lassen uns von einem Muskel diktieren, wie wir unser Leben führen. Ganz ehrlich, heute ist ein Tag - da muss ich über diese Tatsache einfach lachen. Es ist biologisch unmöglich einen Muskel zu brechen und trotzdem leiden wir an gebrochenen Herzen. Und obwohl dieser Muskel völlig intakt ist, fühlt es sich manchmal an, als wäre er in tausend Fetzen zerissen. Als blute er und überschwemme mit seiner Traurigkeit unser komplettes Sein. Und manchmal brauchen wir Jahre, um unseren gebrochenen Muskel wieder zu reparieren - obwohl er doch eigentlich ganz gesund ist.

 

Vielleicht sollten wir uns manchmal daran klammern: dass unser Herz ein Muskel ist. Dass er gesund ist, auch wenn es sich nicht danach anfühlt. Dass er weiterschlägt - auch wenn er keinen Grund dazu hat. Und ganz nebenbei gesagt... keine Angst. Du kannst dein Herz nicht verschenken. Tust du es, dann stirbst du. Es gehört also immer dir. Keiner kann es dir wegnehmen und zertreten. Es hängt an keinem Schlüssel, an keiner Couch, an keiner Wohnung und schon gar nicht an einem Menschen - außer an dir selbst. Es schlägt, um Blut durch deinen Körper zu pumpen. Es kann nicht brechen. Ein Herz kann nicht brechen.

 

Und doch frage ich mich... Wenn dein Hirn keinen Grund mehr sieht wieso dein Herz weiterschlagen sollte.. kann es dann einfach damit aufhören?

 

 

Aggregatzustand.

Aggregatzustände sind verschiedene Zustände von Stoffen, die sich durch Änderungen des Drucks oder der Temparatur verändern können. Wir kennen drei klassische Aggregatzustände: fest, flüssig oder gasförmig.

 

Und wir, wir tun es auch. Wir verändern unseren Aggregatzustand. Und zwar dauernd. Wir kochen vor Wut, wir zerfließen vor Traurigkeit, wir erstarren vor Angst. In einem Moment sind wir noch herrlich glücklich - und im nächsten niedergeschlagen und völlig aus der Bahn geworfen. Wir Menschen kennen ebenfalls drei grundlegende Aggregatzustände: glücklich, traurig und irgendwas dazwischen, wir wollen es als "okay" bezeichnen.

 

Glücklich ist leicht. Es ist wie gasförmig. Wenn wir glücklich sind, füllen wir damit ganze Räume, ganze Hallen, ein ganzes Leben aus. Wir besitzen so viel Energie, dass wir alles bewegen können - notfalls sogar Berge versetzen, wenn es denn nötig ist.

Okay ist wie flüssig. Wir sind irgendwie unbeständig und passen uns eben den Gegebenheiten an. Wir schwappen herum, plätschern durchs Leben.. es ist okay. Aber was wir uns wirklich wünschen, wäre ein wenig mehr Wärme, etwas, dass unser Herz so sehr erwärmt, dass wir jederzeit vor Freude zu dampfen beginnen. Aufsteigen. Wir wollen gasförmig sein. Wir wollen glücklich sein. Und solange wir das nicht sind.. sind wir eben okay. Wir passen uns den Gegebenheiten an und warten, bis es endlich wärmer wird.

Und dann gibt es noch traurig. Wir sind erstarrt. Sind festgefahren. Und aus irgend einem Grund schaffen wir es nicht, uns auch nur einen Millimeter zu bewegen. Sind wir erstmal in diesem Aggregatzustand angekommen, kann es oft viel zu lange dauern, bis er vorbeigeht. Unsere Teilchen blockieren sich gegenseitig. Wir haben keine Chance zu entkommen. Wir brauchen etwas, dass uns in Schwingung bringt. Und zwar so sehr, dass wir anfangen zu schmelzen. Unsere Sorgen, unsere Enttäuschung, unsere Verzweiflung.. im Idealfall fängt es langsam an zu schmelzen.

 

Aber ganz gleich wie dort draußen in der realen Welt, gibt es auch in unserem Leben manchmal einen echten Winter. Manchmal sind wir einfach erstarrt. Und um uns ist es so kalt, dass unsere Sorgen, unsere Enttäuschung und unsere Verzweiflung gar keine Chance haben zu schmelzen.

 

Was wir dagegen tun können? Wir könnten versuchen uns warm anzuziehen. Einhüllen in Zuversicht, Hoffnung, Mut und dem unzerstörbaren Glauben, dass alles wieder gut wird. Wir könnten jemanden bitten, ein wenig näher zu kommen. Wir könnten versuchen uns selbst durch bloßen Lebenswillen in Schwingung zu versetzen. Wir sollten es versuchen. Wir sollten daran glauben, dass die Schmelztemparatur gar nicht so hoch sein muss. Es reichen manchmal schon ein paar warme Gedanken, eine wohltuende Umarmung, ein Hauch von Zuversicht und wir beginnen schön langsam zu schmelzen. Von traurig zu okay. Und wenn wir ganz viel Glück haben, wird uns vielleicht so warm ums Herz, dass glücklich nurmehr einen Atemzug entfernt liegt.

 

Aggregatzustände sind temporär. Also, zumindest unsere. Es kommt auf die Temparatur und den Druck an. Darauf, dass wir fähig sind uns selbst in Bewegung zu versetzen und etwas zu tun. Zu leben. Weiterzukommen - egal ob nun gasförmig oder flüssig. Hauptsache, wir bewegen uns. Am besten nach vor.

 

Meer sein.

Erinnerst du dich noch an deinen ersten, richtigen Kuss? Das erste Mal, als du deinem Liebsten oder deiner Liebsten so richtig in die Augen geschaut hast? Weißt du noch, damals, als du mit deiner besten Freundin oder mit deinem besten Freund lachend auf der Wiese lagst und fast keine Luft mehr bekommen hast?

Oder die peinliche Stille bei deinem ersten, wirklich miesen Date? Wie war die erste Nacht in deiner ersten eigenen Wohnung? Oder die erste Fahrt mit deinem ersten, eigenen Auto?

Es waren vielleicht nur Sekunden, Minuten, oder ein paar Stunden. Aber es hat sich nach mehr angefühlt. Nach Meer.

 

Würden wir alle bedeutenden Momente des Lebens zusammennehmen, sie ergäben ein ganzes Meer aus Zeit.

 

Viel zu oft haben wir das Gefühl wir hätten alles im Leben. Alles, bis auf Zeit. Sie rinnt uns durch die Finger, und wenn wir nicht aufpassen, haben wir nicht mehr so viel übrig, wie wir gerne noch hätten. Aber in Wahrheit ist mehr als genug davon vorhanden. Ein irlandisches Sprichwort sagt: Als Gott die Zeit schuf, schuf er viel davon. Und es ist wahr. Auch wenn es uns so vorkommt, eine Minute hat doch ständig sechzig Sekunden. Also sechzig Möglichkeiten eine Entscheidung zu treffen, eine Chance zu ergreifen. Sich zu verlieben, glücklich zu sein. In einer Minute hast du sechzig Mal die Gelegenheit alles zu verändern. Eine Minute bietet sechzig Chancen, das Richtige zu tun. Oder das Falsche - und daraus zu lernen. Sechzig Sekunden, die zusammen vielleicht nur eine Minute ergeben. Aber in Wahrheit kann daraus ein ganzes Meer aus Zeit entstehen. Ein Meer, so bedeutend wie die Momente, aus denen es gemacht ist.

 

Wir sollten uns dafür entscheiden. Jeden Tag. Wir sollten alles sein wollen.. und noch mehr. Wir sollten Meer sein. Und selbst wenn es nicht gelingt.. Dann haben wir noch immer die Möglichkeit unseren Liegestuhl auszupacken, uns an unseren Strand der Träume zu setzen und unserem Meer zuzusehen, wie es hoffnungsvolle Wellen bricht, an deren Fuße die Erinnerungen schäumen und langsam die Flut des Lebens einsetzt.

 

Meer sein. Eine schöne Vorstellung. Schließ die Augen und versuch es. Versuch mehr zu sein. Versuch Meer zu sein.