Irrgarten.

Es kommt dieser Moment, in dem dein Leben beginnt. Vielleicht ist es die bestandene Lehrabschlussprüfung, die Matura, der Tag an dem du deinen Führerschein kriegst. Vielleicht ein bestimmter Geburtstag, ein besonderes Erlebnis. Irgendetwas passiert und plötzlich hat das Leben begonnen. Vorher waren wir Schüler, Kinder, Töchter, Söhne - wir erfüllten eine Rolle. Aber auf einmal waren wir etwas anderes. Plötzlich hat man einen Plan, ein Ziel. Man sieht einen Weg, den man gehen möchte. Man verfolgt eine Vorstellung, beginnt eine Suche. Wir fangen an, unwissend wo wir enden werden. Unser Leben setzt sich in Bewegung und wir gehen mit.

 

Wir versuchen etwas und scheitern, verlieben uns und werden verlassen, riskieren etwas und verlieren. Wir versuchen Schritt zu halten mit der Welt, mit dem Leben. Wir leben von geborgter Zeit und versuchen sie einzuholen - irgendwie. Und plötzlich werden wir überrannt. Dinge, die wir uns zurecht gelegt und an denen wir uns orientiert haben verlieren ihre Bedeutung. Wertigkeiten ändern sich. Ziele verblassen. Wir haben auf Teufel komm raus angefangen zu Leben und wie aus dem nichts stehen wir da und fragen uns: Was zur Hölle mache ich eigentlich?

 

Das Leben ist ein Irrgarten aus Entscheidungen und Zufällen, aus Schicksal und Vernunft, aus Gefühlen und Bestimmung. Manchmal ist es völlig egal wie schnell wir rennen, wie klar wir etwas vor Augen haben - wir können nicht planen was passieren wird, wo es uns hinbringen wird, wer wir sein werden wenn wir ankommen. Und viel zu oft fühlt es sich so schrecklich einsam an.

 

Vielleicht geht es darum. Sich manchmal zu verirren. Untergehen in den Windungen des Lebens. In der Dunkelheit zu stehen und nicht weiter zu wissen. Es ist die einzige Möglichkeit wieder Licht zu sehen, einen Weg zu finden. Etwas zu finden, von dem man gar nicht wusste, das man es gesucht hat. Auf etwas zu treffen, das man nicht erwartet hat.

 

In Wahrheit ist es doch so: Wir gehen verloren und finden uns selbst. Zumindest so lange, bis wir uns wieder verirren. Aber das gehört dazu. Ein bewegtes Leben zu führen bedeutet nicht immer nur vorwärts zu gehen. Hin und wieder muss es auch mal links oder rechts eine Abbiegung geben, um die Dinge anders zu sehen. Hin und wieder müssen wir verloren gehen, um etwas Neues zu finden: uns selbst.

 

Ich glaube fest daran, dass all die Tränen, der Schmerz, das Leid, der Kummer, die Sorgen, die Wehmut, die Sehnsucht, die Einsamkeit, die Dunkelheit, der Stillstand für etwas gut sind. Dass die vielen Wirrungen des Lebens etwas bedeuten und nicht nur Schikane sind. Dass es uns an Kreuzungen bringt, die unumgänglich sind. Dass es uns an Grenzen bringt, die wir überschreiten sollten. Dass dieser Irrgarten, in den wir abdriften, bedeutet auf dem richtigen Weg zu sein.

Ein Leben im Gleichgewicht bedeutet auch das Gleichgewicht zu verlieren.

 

 

 

 

 

 

Für Patrick.