Das Mayonnaise-Prinzip
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- Veröffentlicht: 23. September 2017
Es tut sich viel. Dauernd. Wir rennen durchs Leben, völlig überwältigt von seiner Komplexität, von seiner Geschwindigkeit. Wir treffen Entscheidungen und leiden darunter - oder freuen uns. Wir werden verletzt, sind wahnsinnig glücklich, fallen mit rudernden Armen ins Leere und denken manchmal wir könnten fliegen, angetrieben von reiner Glückseeligkeit. Und das abwechselnd, völlig ungeplant und unerwartet. Wir tun es. Leben. Obwohl wir es nicht immer verstehen, meistens keinen Sinn darin finden und komplett den Faden oder die Orientierung verlieren: wir tun es.
Das mit dem Leben ist so eine Sache. Man kann es sich eigentlich nicht aussuchen ob man es will oder nicht. Man wird geboren und ist da. Und alles beginnt sich zu verändern. In etwa 99% der Fälle haben wir nicht in der Hand was passieren wird, wo es uns hinträgt oder wie wir unseren Tag verbringen werden. An manchen Morgen stehen wir auf, voller Hoffnung und Zuversicht und abends weinen wir uns leise in den Schlaf, weil das Leben nunmal das ist, was passiert während man andere Pläne macht.
Es scheint verrückt zu sein. Völliger Schwachsinn. Wir überstehen den schlimmsten Schmerz, die tödlichste Krankheit, die dunkelste Phase. Wir verlieren alles woran wir glauben und machen doch weiter. Weil es das Leben ist. Weil es dazugehört zu leiden. Weil Schmerz uns wachsen lässt. Weil nur dunkle Erfahrungen uns erkennen lassen wo das Licht ist. Also tun wir es. Ohne Widerrede, ohne Zweifel. Wir versuchen unser Bestes zu geben, Hindernisse als Chancen zu sehen, Brücken über reißende Flüsse der Verzweiflung zu bauen. Und während wir all das Tag für Tag meistern, ist es uns manchmal gar nicht klar:
Es gibt im Leben ein Mayonnaise-Prinzip.
Nun, dieses Prinzip lautet in etwa so: wer nicht gewillt ist den vollen Geschmack, die komplette Erfahrung, die ganze Sünde zu erleben, der sollte es wohl lieber bleiben lassen. Wenn du Mayonnaise essen willst, die weder lebensnotwendig noch wichtig ist, wieso solltest du nicht den vollen Geschmack wollen? Ist es genau so befriedigend sich mit 25% abspeisen zu lassen, wohl wissend, dass auch das nicht gesund ist? Wenn wir also sündigen wollen, wieso dann nicht in vollem Ausmaß? Wenn wir unserem Leben Würze geben wollen, wieso nicht so viel wir kriegen können?
Welchen Sinn hat es, sich für weniger als alles zu entscheiden?
Es geht um die Entscheidung. Die Entscheidung so viel wie möglich zu wollen. Das meiste herausholen. Das Leben spüren - bis ins Knochenmark. Sich selbst spüren. Jede einzelne Faser des Herzens. Jeden einzelnen Nadelstich des Schmerzes, jeden Tropfen, der das Meer aus Tränen füllt, jeden Atemzug des Abenteuers. Wir sollten uns für die volle Ladung entscheiden, den vollen Geschmack, das komplette Erlebnis. Egal was wir tun. Liebe, Freundschaft, Glück - so viel wir kriegen können! Wir haben keine Zeit für ein bisschen Liebe oder ein wenig Spaß. Keine Zeit für halbe Sachen und Feigheit.
Hol es dir. Alles. So viel wie nur möglich. So viel Liebe, Freundschaft, Glück und Spaß wie möglich. Sei gefasst auf die volle Ladung Schmerz und Kummer und dass du daran wachsen wirst so viel es geht. Wir können nicht lernen, wenn wir nur die Hälfte verstehen. Wir können nicht lieben, wenn wir nicht mit vollem Herzen dabei sind.
Dass mein Herz schlägt, dass ich atme, mein Kreislauf funktioniert, mein Herz Blut durch meinen Körper pumpt, dass in jeder Sekunde etwa 1 Billion Synapsen Impulse mit über 700 km/h durch mein Gehirn feuern, ist wohl ein Wunder und sichert mein Überleben, aber leben ist mehr als überleben. Es geht um Nähe, um Liebe, Freundschaft, Hoffnung, Glück. Es geht um Familie, Vertrauen, sich weiterzuentwickeln. Um Leid, Schmerz, Verzweiflung, Sehnsucht. Und solange mein Herz, mein Kreislauf und mein Hirn ihren Job machen, ist mein Job so viel von dem Rest zu nehmen wie ich kriegen kann.
Keine halben Sachen. Keine halbfette Mayonnaise. Ich entscheide mich für den vollen Geschmack.
Das sind die Grundfeste, nach denen wir leben sollten. Alles wird gut. Nicht fast alles wird ein bisschen gut. Ich liebe dich. Nicht ich liebe dich vielleicht ein wenig. Ich bin glücklich. Ich freue mich. Ich will das. Ich entscheide mich. Ich bin mir sicher. Ich bereue nichts. Ja. Nein. Ja. Ja. Ja.
Ja zum Leben. Ja zum Mayonnaise-Prinzip. Ja zum vollen Geschmack - von egal was.