Lieber Holger

i like the way we open up our hearts to each other

when we find the meeting of our minds.

 

Ich hab all deine Briefe aufbehalten. Und ich schau mir die Sonnenuntergänge so oft an wie ich kann. Wo ist das Leben nur geblieben? Wie alt sind wir geworden? Es kommt mir vor wie zehn Sekunden, in Wirklichkeit sind es Jahre. Und es ist so schrecklich viel passiert.

 

Lieber Holger,

bitte melde dich.

 

20151107 213326

 

Deine Uniqa.

Die verdammte Nähe.

Nun, ich bin umgezogen.

Also nein. Eigentlich hab ich es nach 26 Jahren endlich geschafft mein komplettes Leben zusammen zu raffen und ihm Raum zu geben. Der Raum hat knapp sechzig Quadratmeter und befindet sich in einer Stadt, mit der ich nichts verbinde, in der ich niemanden kenne. Es ist perfekt. Perfekt für den Beginn meines restlichen Lebens.

 

Heute habe ich den letzten Umzugskarton ausgepackt. Und zum Vorschein kam mein altes Memo-Board, an das ich einst all die Fragen ans Leben geklebt hatte. Ständig ist mir dieses oder jenes in den Sinn gekommen. Ich hab es also auf ein Post-It gekritzelt und an dieses Memo-Board geklebt, damit ich nicht vergesse womit ich mich noch beschäftigen wollte. Die Post-Its sind alle abgegangen. Bis auf das eine. Und es ist wirklich herrlich welches eine es war.

 

20151107 185537

 

Was sind wir ohne Nähe? Einsam? Oder einfach nur unterwegs?

Nun, wie ist die Antwort auf diese Fragen? Und es kommt mir lächerlich vor diese Antwort nicht zu kennen. Nähe ist etwas, das ich in meinem ganzen Leben nur selten erfahren habe. Und hatte ich es, so war es am Ende doch nur immer  eine Lüge. Was sind wir also ohne Nähe? Sollten wir vielleicht erst definieren was Nähe eigentlich ist?

 

Nähe macht uns verletzlich. Es ist etwas, das uns so sehr erfüllt wie es uns zerstört. Wir lassen es nur schwer zu. Aber tun wir es, so verlieren wir uns in ihr. Wir brauchen Nähe. Zu den Eltern, zur Familie, zum Partner, zu unseren Freunden. Aber manchmal... da kriegen wir es einfach nicht. Mütter fangen neue Leben an, Väter verschwinden, Partner verlassen uns, Freunde gehen andere Wege. Wo bleibt die Nähe? Sind wir einsam?

 

Wo geht die Nähe hin, wenn sie verschwindet? Wie kann es sein, dass man einst einem Menschen nah war und dann nichteinmal mehr weiß, wie es ihm geht? Nun.. es passiert. Nähe passiert wie das Leben. Ganz plötzlich und auf einmal. Du hast nie damit gerechnet, wolltest es nie haben. Aber von einer Sekunde auf die andere bist du einem Menschen nah. Sei es durch deine Geburt oder durch die verdammte Liebe - du gibst dich auf für jemanden, der jederzeit gehen kann.

 

Nähe ist beschissen. Und obwohl wir ständig unterwegs sind auf der Suche danach, so sind wir doch einsam ohne sie. Und verfluchen sie, wenn sie vergeht. Wir suchen nach etwas, das wir eigentlich nicht haben wollen. Und lassen uns ein auf etwas, wovor wir Angst haben. Es ist das Spiel des Lebens.

 

Die Antwort lautet: Wir sind einsam unterwegs auf der Suche nach Nähe. Wir geben unser Herz dafür, nur um es zerbrechen zu lassen. Aber dieses kleine bisschen Nähe, das wir davon hatten, scheint es sogar wert gewesen zu sein. Ein wenig Liebe, ein wenig Geborgenheit, ein wenig Vergangenheit. Ein wenig etwas, woran man sich erinnern kann. Weißt du noch damals, als ich glücklich war? Vielleicht ist es das wert gewesen. Vielleicht gibt es die Nähe deshalb, damit wir die Entfernung verstehen. Vielleicht müssen wir uns auf sie einlassen, um zu spüren was wir ohne sie sind.

 

Und vielleicht muss uns die Nähe so sehr zerstören, damit wir überhaupt noch spüren, dass wir fühlen können. Dass nichts verloren ist, solange wir noch fähig sind Nähe zuzulassen - oder zumindest darüber nachzudenken.

 

Nähe. Zwei kleine Silben für: hier ist mein Herz. Nimm es und mach Schaschlik draus. (Grey's Anatomy)

Fragen über Fragen.

Vor etwa fünf Monaten sagte Paulo zu mir „Stelle zehn Fragen ans Leben und versuche diese zu beantworten. Erst dann stelle die zehn nächsten.“

 

Was Paulo nicht verraten hatte war, dass es unmöglich ist aus den tausenden Fragen ans Leben immer nur zehn herauszufiltern – und dann noch dazu die Geduld zu haben zu warten, bis diese beantwortet werden.

 

Aber so ist es. Wir stellen uns täglich hunderte Fragen. Wieso, Weshalb, Warum. Wie viele Stunden vergehen bloß, bis wir all diese Fragen durchdacht haben? Wieso müssen wir stets alles zerdenken? Und ja, das war schon wieder eine Frage.

Irgendwann gibt es keine Zeit mehr für Fragen. Irgendwann muss man versuchen die Dinge so zu nehmen wie sie kommen – einfach nur deshalb, weil selbst die tausendste Frage sie nicht ändern würden.

 

Natürlich kann ich mich fragen, wieso mein Vater mich nicht liebt. Ich kann mich Fragen wieso meine Beziehung zerbrochen ist. Ich kann mich sogar fragen, wieso zur Hölle ich einfach kein Glück habe im Leben – es wird nichts bringen. Manches ist einfach verdammt so zu sein wie es ist. Was wir uns allerdings wirklich fragen sollten, ist: Was kann ich tun, um mir selbst ein Leben zu schaffen, dass weniger fragwürdig, dafür umso mehr liebenswürdig ist? Wer kann ich sein, den ich selbst nie wieder in Frage stellen muss?

 

Es geht ums große Ganze. Es geht nicht um die tausend kleinen Fragen, die uns nachts den Schlaf rauben. Es geht nicht um was wäre wenn. Es geht nicht darum hypothetische Antworten für rhetorische Fragen zu finden. Es geht darum die wichtigen Fragen zu stellen. Zu lernen, wie man sie unterscheidet. Es geht darum zu erkennen, dass die Frage „Wieso hab ich dies und jenes nicht getan, als ich die Chance dazu hätte?“ nichts im Vergleich ist zu „Willst du mich heiraten? Willst du den Rest deines Lebens mit mir verbringen? Liebst du mich?“ oder „Wer willst du sein? Wohin willst du gehen? Wer soll dich begleiten? Was erwartest du vom Leben?“

 

Und wenn man dies erkannt hat, fällt einem plötzlich auf, dass es gar nicht so viele Fragen zu beantworten gilt. Und von diesen wenigen Fragen, wähle zehn aus und beantworte sie dir selbst.

 

In anbetracht dessen möchte ich meine erste Frage ans Leben stellen, deren Beantwortung wohl ein ganzes Leben beinhalten wird:

 

Wer will ich sein?

Hol es dir!

Zuweilen mag das Leben einschüchternd sein. Und ja, es ist die reine Wahrheit: es kann einem wahnsinnige Angst machen. Wenn alles über dir zusammenstürzt, wenn du alles verlierst von dem du glaubtest es zu besitzen, wenn nichts mehr so ist wie du es gerne haben wolltest. Wer würde nicht wahnsinnig werden bei dem Gedanken?

 

Wir können also komplett durchdrehen, uns selbst in die Psychiatrie einweisen lassen, auf Medikamente eingestellt werden und nochmal ganz langsam von vorne anfangen - oder wir akzeptieren, dass man das Leben nunmal respektieren muss. Es wird niemals leicht sein und niemals so, wie wir es uns vorstellen. Es wird ständig irgend etwas schiefgehen und wir wären töricht zu glauben, es würde alles nach Plan verlaufen. Es wird anstrengend, ein ewiger Kampf, und wir haben eigentlich niemals Zeit uns davon auszuruhen. Wir müssen dem Leben die Stirn bieten. Wir können uns nicht einfach auf die Couch setzen, die Tür zumachen und hoffen, dass es schon irgendwie weitergeht. Wir müssen uns holen was wir wollen. Du willst Liebe? Du willst Abenteuer? Du willst Glück?

 

Hol es dir! Es wird nicht plötzlich an dein Fenster klopfen und elegant hereinsegeln. Es wird dir nicht einfach in den Schoß fallen, während du faul herumliegst und darauf wartest. Glücklich sein ist harte Arbeit. Leben ist harte Arbeit. Es geht darum zu investieren. Zu riskieren. Es geht darum sich selbst die Frage zu stellen, ob wir es einfach nur leicht, oder ob wir das ganze Paket haben wollen.

 

Ich will das ganze Paket. Ich will mir alles holen was ich kriegen kann. Liebe, Glück, Abenteuer - es kommt niemals darauf an was du dir vorgestellt hast, es kommt stets darauf an, was du dir alles erarbeitet hast. Du erntest was du sähst. Also bedenke stets das Gute im Leben behutsam zu gießen. Dein Glück zu teilen, damit es mehr werden kann. Bedenke stets, dass es an dir liegt, ob du dir alles holen willst oder dich lieber für immer fragen willst, was du in der Vergangenheit falsch gemacht hast.

 

Hol es dir. Hol dir dein Leben. Es wird vergehen, auch wenn du es einfach nur stehen lässt. Aber irgendwie.. wäre das doch Verschwendung oder?