Lebensentscheidungen.

Es soll ja irgendwo auf diesem Planeten tatsächlich Menschen geben, die glücklich sind. Falls du dazu gehörst, gratuliere ich dir herzlichst. Halt es verdammt noch mal fest, dein Glück, so lange du kannst.

 

Es wird vergehen. Es wird verschwinden. Alles verändert sich. Ständig. Wir begegnen Menschen, die unser Leben völlig auf den Kopf stellen. Wir begegnen Dingen und Situationen, die uns in unseren Grundfesten erschüttern. Und nichts, aber auch wirklich gar nichts wird jemals so bleiben wie es ist. Die schlechten Dinge genauso wenig wie die guten. Und irgendwo mittendrin, dort sind wir. Versuchen ein Leben zu leben, das mit all diesen Veränderungen mithalten kann. Probieren Schritt zu halten, nur um irgendwann zu bemerken, dass wir zu langsam sind.

 

Du wirst verlassen werden, wirst deine Ziele nicht immer erreichen. Du wirst scheitern und stolpern. Du wirst geliebte Menschen verlieren, wirst Abschied nehmen von Vertrautem und Wohltuendem, alles wird sich verändern. Wo ist dein Glück geblieben?

 

Ich dachte immer, dass es im Leben darauf ankommt sich zu entscheiden. Sich entscheiden zwischen glücklich sein oder unglücklich sein.

 

Inzwischen habe ich gelernt, dass es nicht so einfach ist. Dinge passieren. Und nicht jeden Tag kann man morgens aufstehen und sich dazu entscheiden glücklich zu sein. Und selbst wenn du es versuchst.. wirst du doch irgendwann scheitern. So oft, bis du keine Lust mehr hast weil es ja doch nichts wird.

 

In Wahrheit ist die Entscheidung eine andere: Willst du leben oder sterben. Wir können uns nicht ständig dafür entscheiden glücklich zu sein. Aber wir können uns jeden Tag fürs Leben entscheiden. Wir können beschließen den Tag irgendwie überleben zu wollen. Und zwar jeden Tag aufs Neue - und das so lange, bis es vielleicht mehr wird als das bloße Überleben. Aber vorerst muss man sich fürs Leben entscheiden. Jeden Tag aufs Neue. Der Tod kommt sowieso früher oder später.

Das hässliche Ich.

Wann hast du das letzte Mal in den Spiegel gesehen und gedacht: "Wow, heute seh ich richtig gut aus"? Im besten Fall lautet die Antwort "heute" im schlechtesten Fall "noch nie".

So ist das mit dem Selbstbewusstsein oder dem Selbstwertgefühl.. es ist irgendwie verdammt ungerecht aufgeteilt auf dieser Welt.

 

Fühlst du dich wohl in deiner Haut? Oder würdest du lieber tauschen? Was ist Schuld an dem "noch nie"? Bist du zu selbstkritisch oder sind es anerzogene Komplexe aus deiner Kindheit?

 

Nun.. ich hab mal geschrieben "Wir sind alle schön. Weil Liebe schön macht." Und auch heute finde ich noch, dass ich damit recht hatte. Wer sich geliebt und geborgen fühlt, hat plötzlich einen anderen Bezug zu sich selbst. Hey! Jemand liebt dich! So übel kannst du also gar nicht sein! Aber was, wenn dich plötzlich keiner mehr liebt? Ist es das selbe, wenn dir deine Freundinnen sagen du bist hübsch?

 

Natürlich sind das nur Äußerlichkeiten und es kommt auf die inneren Werte an blabla... So ein Unsinn. Wenn du in den Spiegel schaust und dir gefällt nicht was du siehst - kannst du ein noch so reines Herz haben, es wird einfach nicht das selbe sein. Und wer sich selbst nicht leiden kann, der wird auch niemanden finden, der es kann. So einfach ist das.

 

Manchmal passiert es einfach, dass wir aufhören uns selbst zu lieben. Wir versuchen ständig aufrecht und mutig durchs Leben zu gehen, aber manchmal reicht schon ein Blick in den Spiegel um unseren ganzen Mut verschwinden zu lassen. Unser hässliches Ich arbeitet ständig gegen uns. Es verblasst auch nicht so einfach, wenn wir es entdecken. Im Gegenteil... es wird stärker, bekommt die Oberhand, es verdrängt unsere gute Meinung von uns selbst hin und wieder komplett. Was übrig bleibt? Wir selbst, die vor dem Spiegel stehen und außer Hässlichkeit nichts entdecken können. Weder außen noch innen. Wir beginnen uns zu hassen. Für alles was wir sind und was wir tun.

 

Was hilft? Ein neuer Haarschnitt? Ein Peeling? Reicht es wirklich sein Äußeres zu verändern, wenn das hässliche Ich schon bis ins Innerste vorgedrungen ist? Irgendwie... nein. Ich hab keine Ahnung was dagegen hilft. Aber ich hoffe jeden Tag eine Antwort darauf zu finden. Meinem hässlichen Ich den Stinkefinger zu zeigen und zu schreien: Du kannst mich mal. Nach 25 Jahren wäre es endlich an der Zeit, meinem hässlichen Ich Lebe wohl zu sagen. Wenigstens einmal in den Spiegel zu sehen und nicht zu denken, dass es kein Wunder ist, dass mich alle verlassen. Wenn ich könnte, ich würde auch lieber ohne mich leben wollen.

Der Schlüssel zum Glück.

Vor gefühlten tausend Jahren, in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben... ist mir etwas wirklich seltsames passiert. Mir ging es zu dieser Zeit nicht gut - es war viel geschehen. Eigentlich fast mehr, als ich verkraften konnte. Ich weiß noch, dass ich mich oft in den Schlaf weinte - und wenn das nicht ging, verbrachte ich Stunden damit zu grübeln und Gespräche zu planen, die ich nie geführt habe. Ich war schrecklich unglücklich. Meine Welt war zerbrochen. Und ganz gleich wie jetzt, hab ich ständig darauf gewartet, dass etwas passiert. Irgendwas.

 

An einem Tag verließ ich meine Wohnung und fühlte mich wie das Wetter - grau, kalt, ungeliebt. Ich war so nah am Wasser gebaut, dass mir praktisch jeder meiner Gedanken die Tränen in die Augen trieb. Aus irgendeinem Grund deprimierte mich fast alles, was ich sah und hörte. Andauernd stellte ich mir meine eigene Beerdigung vor und wie es wohl wäre einfach aufzugeben und dieses beschissene Leben einfach hinter mir zu lassen - es war wirklich eine katastrophale Zeit. Und gerade an jenem Tag, als ich morgens aufstand und dachte, ich könne diesen ganzen Schmerz nicht mehr aushalten und müsste daran zerbrechen, traf ich diesen betrunkenen, völlig verwirrten, dreckigen Obdachlosen. Ich saß an einer Busstation und rauchte und er kam angewankt und fragte mich nach einer Zigarette. Ich sah ihn nur flüchtig in die Augen und händigte ihm eine aus. Plötzlich lies er sich neben mich auf die Bank fallen und fragte, wieso ich denn so traurig schaute. Ich grinste ihn nur an und sagte, dass er wohl am besten wüsste, dass das Leben manchmal ziemlich hart ist. Er erwiderte nichts. Stattdessen griff er in seine Jackentasche und holte einen Schlüssel hervor. Und sagte etwas, das ich wohl nie vergessen werde: "Hör mal, Mädchen. Du bist zu jung, um ein schweres Leben zu haben. Du kannst nicht immer darauf warten, dass alles gut wird. Manchmal musst du aufstehen und dein Glück eben suchen, wenn es schon nicht zu dir kommt. Ich geb dir jetzt diesen Schlüssel. Wenn du mal wieder vor einer verschlossenen Tür stehst, hinter der sich dein Glück versteckt, dann nimmst du ihn und sperrst auf. So einfach ist das."

 

Es waren nur die Worte eines Betrunkenen, ein schräger Typ, der nach Wein und Rum roch. Aber es war etwas passiert. Dieser irre Kerl hatte mich irgendwie aus meinem Sumpf der Trauer gerissen. Einfach nur, weil er mir einen Schlüssel gab. Den Schlüssel zum Glück. In den darauffolgenden Tagen und Wochen habe ich damals beschlossen, dass ich zu jung bin, um unglücklich zu sein. Dass ich es satt habe zu warten und dass es an der Zeit ist mein Glück zu suchen. Plötzlich hatte ich keine Angst mehr, dass ich es nicht finden würde. Ich hatte ja einen Schlüssel, der mir die Welt öffnen konnte.

 

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Die letzten zwei Tage meines Lebens habe ich damit verbracht mein Leben wegzuwerfen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hab mich praktisch von allem getrennt, was ich jemals besessen habe. Ich dachte wirklich, es würde mir Erleichterung verschaffen. Aber ich habe wohl vergessen, dass man nichts mehr besitzt, wenn man alles wegwirft. Und zwischen all diesen Sachen, zwischen Briefen, Erinnerungen, alten Dokumenten, zwischen ausrangierter Kleidung und Zeitzeugen eines früheren Lebens, fand ich ihn. Den Schlüssel. Ich wusste nicht, dass ich ihn noch besitze. Damals, 2009, hab ich ihn ständig mit mir herumgetragen - aber irgendwann hatte ich mein Glück gefunden und brauchte den Schlüssel nicht mehr. Er war verschwunden. Aus den Augen, aus dem Sinn. Aber gestern hielt ich ihn plötzlich wieder in der Hand. Aber es war nichts Schönes mehr daran. Es war nicht erleichternd oder befreiend. Nur ein Relikt aus einem anderen Leben. Ein verbrauchtes Denkmal der Hoffnung. Aber vielleicht doch ein Zeichen, dass etwas passieren kann.Ich werde ihn aufbehalten. Zur Sicherheit. Oder vielleicht, damit ich wenigstens noch etwas besitze, wenn ich schon alles andere weggeworfen habe.

 

Inzwischen frage ich mich, ob der Schlüssel zum Glück vielleicht nur einmal sperrt. Und wie weit es noch kommen muss - nach Zusammenbruch und Psychiatrie - bevor ich einen anderen Schlüssel finde.

Das einsame Herz.

 Die oberösterreichische Hauptstadt Linz ist derzeit Gastgeber der faszinierenden Ausstellung "Körperwelten - Eine Herzenssache". In dieser Ausstellung werden plastinierte Leichen ausgestellt... tote Menschen, die ihren Körper der Wissenschaft gespendet haben und so unsterblich wurden. Es ist ein Ort, an dem Leben und Tod so intensiv aufeinandertreffen, dass es einem fast den Atem verschlägt.
 
Das erste Objekt der Ausstellung ist ein menschliches Herz. Es liegt dort in der Vitrine - allein. Berühren verboten. Ob es einsam ist? Ist es wirklich das, was übrig bleibt? Ein einsames Herz? 
 
Das Herz ist der stärkste Muskel des Körpers - und doch ist er so schrecklich verletzlich. Ständig geht unsere Welt zu Bruch und unsere Herzen bluten mit. Und manchmal, da fühlt es sich an als wär es stehen geblieben. Still und starr, unfähig etwas zu fühlen, unfähig uns weiter zu bringen. 
 
In Wahrheit schlägt es aber immer weiter. Im Schnitt 70 mal in der Minute, 3 Milliarden mal im Leben. Es pumpt Blut. 200 Millionen Liter insgesamt. Es arbeitet unaufhörlich vor sich hin. Wieso können wir nicht ein wenig mehr wie unser Herz sein? Es gibt niemals auf. Aber wir, wir tun es.
 
Und auf einmal... da sind wir es. Das einsame Herz in der Vitrine. Haben aufgehört zu kämpfen, warten still und starr darauf, dass uns jemand herausholt. Wir warten darauf, dass etwas passiert.
 
Keine Ahnung, was passieren soll. Wenn ich es wüsste, ich würde dem Leben entgegenrennen. Würde die Vitrine durchbrechen und so lange in eine Richtung laufen, bis ich angekommen bin. Aber manchmal weiß man nicht, aus welcher Richtung das Leben kommt. Was, wenn wir die falsche wählen? Also verharren wir. Still und starr. Und fühlen uns wie das einsame Herz. 
 
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 Quelle: querschrift.de / Sascha Bucholz, Körperwelten Nürnberg