Die verdammte Nähe.

Nun, ich bin umgezogen.

Also nein. Eigentlich hab ich es nach 26 Jahren endlich geschafft mein komplettes Leben zusammen zu raffen und ihm Raum zu geben. Der Raum hat knapp sechzig Quadratmeter und befindet sich in einer Stadt, mit der ich nichts verbinde, in der ich niemanden kenne. Es ist perfekt. Perfekt für den Beginn meines restlichen Lebens.

 

Heute habe ich den letzten Umzugskarton ausgepackt. Und zum Vorschein kam mein altes Memo-Board, an das ich einst all die Fragen ans Leben geklebt hatte. Ständig ist mir dieses oder jenes in den Sinn gekommen. Ich hab es also auf ein Post-It gekritzelt und an dieses Memo-Board geklebt, damit ich nicht vergesse womit ich mich noch beschäftigen wollte. Die Post-Its sind alle abgegangen. Bis auf das eine. Und es ist wirklich herrlich welches eine es war.

 

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Was sind wir ohne Nähe? Einsam? Oder einfach nur unterwegs?

Nun, wie ist die Antwort auf diese Fragen? Und es kommt mir lächerlich vor diese Antwort nicht zu kennen. Nähe ist etwas, das ich in meinem ganzen Leben nur selten erfahren habe. Und hatte ich es, so war es am Ende doch nur immer  eine Lüge. Was sind wir also ohne Nähe? Sollten wir vielleicht erst definieren was Nähe eigentlich ist?

 

Nähe macht uns verletzlich. Es ist etwas, das uns so sehr erfüllt wie es uns zerstört. Wir lassen es nur schwer zu. Aber tun wir es, so verlieren wir uns in ihr. Wir brauchen Nähe. Zu den Eltern, zur Familie, zum Partner, zu unseren Freunden. Aber manchmal... da kriegen wir es einfach nicht. Mütter fangen neue Leben an, Väter verschwinden, Partner verlassen uns, Freunde gehen andere Wege. Wo bleibt die Nähe? Sind wir einsam?

 

Wo geht die Nähe hin, wenn sie verschwindet? Wie kann es sein, dass man einst einem Menschen nah war und dann nichteinmal mehr weiß, wie es ihm geht? Nun.. es passiert. Nähe passiert wie das Leben. Ganz plötzlich und auf einmal. Du hast nie damit gerechnet, wolltest es nie haben. Aber von einer Sekunde auf die andere bist du einem Menschen nah. Sei es durch deine Geburt oder durch die verdammte Liebe - du gibst dich auf für jemanden, der jederzeit gehen kann.

 

Nähe ist beschissen. Und obwohl wir ständig unterwegs sind auf der Suche danach, so sind wir doch einsam ohne sie. Und verfluchen sie, wenn sie vergeht. Wir suchen nach etwas, das wir eigentlich nicht haben wollen. Und lassen uns ein auf etwas, wovor wir Angst haben. Es ist das Spiel des Lebens.

 

Die Antwort lautet: Wir sind einsam unterwegs auf der Suche nach Nähe. Wir geben unser Herz dafür, nur um es zerbrechen zu lassen. Aber dieses kleine bisschen Nähe, das wir davon hatten, scheint es sogar wert gewesen zu sein. Ein wenig Liebe, ein wenig Geborgenheit, ein wenig Vergangenheit. Ein wenig etwas, woran man sich erinnern kann. Weißt du noch damals, als ich glücklich war? Vielleicht ist es das wert gewesen. Vielleicht gibt es die Nähe deshalb, damit wir die Entfernung verstehen. Vielleicht müssen wir uns auf sie einlassen, um zu spüren was wir ohne sie sind.

 

Und vielleicht muss uns die Nähe so sehr zerstören, damit wir überhaupt noch spüren, dass wir fühlen können. Dass nichts verloren ist, solange wir noch fähig sind Nähe zuzulassen - oder zumindest darüber nachzudenken.

 

Nähe. Zwei kleine Silben für: hier ist mein Herz. Nimm es und mach Schaschlik draus. (Grey's Anatomy)