Ein schwerer Tag.

Manchmal steht man morgens auf und weiß es, ohne aus dem Fenster zu sehen: heute ist ein furchtbarer Tag. Es schneit, es ist bewölkt und grau.. fast so, als ob das Wetter deine Stimmung widerspiegeln würde. Und du hast keine Lust zu lachen, hast keine Lust zu essen, oder versuchen glücklich zu sein. Heute ist ein furchtbarer Tag. Ein verlorener Tag. Heute ist ein Tag, an dem du dich einsam fühlen wirst - egal, wie viele Leute für dich da sein werden.

 

Heute ist der Tag, an dem meine Oma beerdigt wird. Alles was noch von ihr übrig ist, in eine kleine, metallene Urne gestreut, wird heute der Erde übergeben. Für mich fängt heute ein Leben an, an dem ich um meine Oma zu besuchen nicht einfach ihre Wohnzimmertür aufreissen kann und "Hallo!" schreien, sondern dort auf den Friedhof fahren muss, ein Grablicht anzünden und Gespräche mit einem gravierten Schriftzug auf einem Grabstein führen muss. Heute ist ein furchtbarer Tag. Es ist der Tag, an dem ich die Hälfte meiner Familie beerdige. Und egal ob Krisen und Katastrophen, Trennungen und Leid - heute ist ein Tag, an dem ich mich einsam fühle. Weil es mir vorkommt als wär mir nichts geblieben, außer die Gewissheit, dass ich alles verlieren kann und werde.

 

Liebe Oma,

ich weiß du hast es immer gehasst mich traurig zu sehen. Wenn meine Welt zusammengebrochen ist, ist es deine auch. Du hast dir 25 Jahre lang so schrecklich viele Sorgen um mich gemacht - andauernd. Du hast gesehen wie ich verlassen worden bin.. von Freunden, Familie, von Partnern und Dingen, die mir Kraft geben. Und während du ständig darum besorgt warst, dass ich doch wenigstens vernünftig essen solle oder aufpassen beim Autofahren, war es dir wohl nie klar, dass allein die Tatsache, dass ich wenigstens dich habe mir so viel bedeutet. Dass ich lachen kann, wenn ich dich beim Mogeln erwische und dass ich niemals allein bin, weil du dort auf deinem weißen Plastiksessel am Balkon sitzt, die Sonne genießt und einfach da bist.

Ich danke dir, dass ich in deinen letzten Stunden bei dir sein durfte. Dass ich deine Hand halten durfte und dir das Gefühl geben, dass sich auch jemand Sorgen um dich macht. Dass du auch nicht alleine bist, weil ich an deinem Bett sitze und warte, bis du wach bist. Ich danke dir, dass du 25 Jahre lang meine Oma warst, eigensinnig und stur und manchmal ein wenig angsteinflößend und böse. Du hast mich mit der Fliegenklatsche gehauen, wenn ich nicht brav war und eine Stunde danach Federball mit mir gespielt im Garten - du hast mir immer alles vergeben, egal was ich gesagt, gemacht oder getan habe. Jetzt musst du dir keine Sorgen mehr um mich machen. Jetzt kannst du alles machen, was dir Spaß macht. Gärtnern, Karten spielen, an der Sonne sitzen, Schnitzel essen, Apfelstrudel backen. Und irgendwann werden wir uns wieder sehen und Mensch ärgere dich nicht spielen.

 

I vermiss di, Oma. Danke, dass du imma für mi do woast.

 

 

 

Tag 6. Manchmal möchte man sich an etwas festhalten können. Egal an was. Manchmal braucht man jemand, der einem die Hand hält. Weil es Dinge gibt, die man nicht allein durchmachen sollte. Weil der Tag schon furchtbar genug ist, ohne den ständigen Gedanken des Verlustes im Hinterkopf. Jemand sollte da sein. Jemand solltest meine Hand halten und für mich da sein. Nicht weil man es mir schuldig ist, sondern weil es manchmal darum geht, für jemandem da zu sein, der einen braucht. Den Rest kann man nachher erledigen. Das Leben kann so lange warten, bis man eine Hand gehalten hat.