Dear, 15 year old Sandra...
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- Veröffentlicht: 07. April 2015
Es gibt da diese Geschichte, dass Charlie Chaplin, als er noch ein kleiner Bub war, seiner Lehrerin die Frage "Was möchtest du einmal werden" mit "Glücklich" beantwortet hat.
Natürlich kann es sein, dass es gelogen ist und nur dazu dient, dass man etwas zitieren kann, wenn man sich mal wirklich an die Nase fasst und über die Bedeutung des Lebens nachdenkt. Aber.. es kann auch sein, dass es die reine Wahrheit ist. Denn eigentlich haben wir selbst auch nichts anderes gemacht.
Wir haben die Frage "Was willst du einmal werden?" mit sieben Jahren sicher nicht beantwortet mit "finanziell abgesichert". Wir wollten Sängerin werden, Schauspielerin, Feuerwehrmann, Lokomotivfahrer, Prinzessin oder Ballerina. Es waren unsere Worte für "glücklich", weil es für uns das Glück bedeutet hat.
Was wolltest du werden?
Hast du dir jemals als Kind die Frage gestellt, wie dein Leben wohl aussehen wird, wenn du erst "groß" bist? Sieh dich an! Ist es so geworden?
Also.. ich will nicht jammern. Ja, ist schon klar, seit einigen Tagen mache ich eigentlich nichts anderes. Aber trotzdem versuche ich zumindest immer ganz zum Schluss noch etwas herauszuholen. Einen kleinen, positiven Gedanken. Etwas Motivierendes. Weil nichts verdammt ist zu bleiben, wie es ist. Und weil wir selbst verantwortlich sind für unser Leben, egal wo wir gerade stehen. Aber heute.. heute, da möchte ich einfach einmal darüber jammern, dass nichts so geworden ist, wie es sollte. Dass das Leben passiert ist. Und alle Pläne zunichte gemacht hat. Oder zumindest den einen, großen Plan. Der ist zunichte. Und nicht erst seit gestern.
Der große, der mächtige, der überdrübersupertolle Plan - er war eigentlich gar nicht so abgehoben. Ich wollte studieren, wollte Schriftstellerin oder Journalistin werden. Ich wollte mein Leben mit Wörtern verdienen, weil ich immer schon wusste, dass sie das einzige sind, das ich wirklich im Griff habe. Ich dachte immer, mit 25 würde ich eine junge Frau sein, am besten Weg zu einer wirklichen Karriere - so eine, die sich morgens am Weg zur Arbeit einen Coffee to go mitnimmt und ständig modisch gekleidet ist. Ich wollte meine Abende in Cocktailbars verbringen, auf Konzerten, in Theatern oder Museen. Ich wollte an den Feiertagen zu Besuch nach Hause zu meiner Familie fahren, um ihnen von der großen, weiten Welt zu erzählen. Ich wollte eine von denen sein, die im Zug sitzen, mit dem Laptop am Schoß und so total wichtig aussehen. Die sich mit alten Freunden treffen und jede Menge zu erzählen haben, weil das Leben ein großer Spielplatz voller Abenteuer ist. Ich dachte immer, mit 25 würde ich zurückdenken auf mein Selbst mit 15 Jahren und mir selbst zulächeln können, weil all meine Ängste für nichtig waren und ich es irgendwie geschafft hab. Nun.. und dann wachst du auf und bist auf einmal wirklich 25. Vielleicht erschreckt es dich sogar, weil du ständig dachtest du hättest noch Zeit... aber nein. Die hast du nicht.
Vielleicht wachst du auf und statt dir einen Coffee to go zu holen, setzt du dich mit verschlissenen, dreckigen Arbeitsklamotten in dein klappriges Firmenauto und karrst einmal um die halbe Welt, um an Orte zu gelangen, von deren Existenz du nichtmal wusstest. Vielleicht fährst du nicht "zu Besuch" nach Hause, sondern weil du irgendwie nirgens anders hin kannst. Vielleicht besteht deine Familie nurmehr aus einer Person. Vielleicht haben all deine Freunde ein eigenes Leben angefangen und es kommt dir einfach unpassend vor, sie mit deinen Problemen zu überhäufen. Vielleicht stehst du vor dem Spiegel und siehst in die Augen von jemandem, dem wirklich alles widerfahren ist, wovor du dich so sehr gefürchtet hast.
Heute in der Nacht hab ich es gesehen.. das 15jährige Mädchen. Es hat weinend um Hilfe geschrien, dass es doch bitte jemand rausholen soll. Es wollte weg. Es wollte nicht in fünf Jahren die ungeliebte, geächtete Tochter und Enkelin sein, die eigentlich gar nichts dafür kann, dass ihr Vater sich wie ein Idiot verhalten hat und einfach abgehauen ist. Sie wollte nicht in drei Jahren umziehen und viel mehr zurücklassen, als ihr klar war. Sie wollte nicht notgedrungen ihre Berufspläne über Bord werfen müssen und etwas anfangen, das ihr schlussendlich auch noch dauerhafte Rückenschmerzen beschert. Sie wollte sich nicht verlieben und verlassen werden, weil sie zum Schluss nur noch eine Belastung war und jemand, der sich selbst nicht ausstehen kann. Sie wollte nicht ihre Oma beerdigen müssen, nachdem sie drei Tage lang ihre Hand gehalten hat und nichts für sie tun konnte. Sie wollte nicht ihr Osterfest in zehn Jahren weinend am Küchenboden verbringen, weil sie sich so schrecklich einsam fühlt. Sie wollte es einfach nicht, sie wollte raus.
Aber ich bin drinn. Dieses 15jährige Mädchen bin ich geworden und innerhalb eines Jahrzehnts, das natürlich auch schön war und toll und aufregend und noch tausend andere Sachen, haben mich meine eigenen Entscheidungen dazu gebracht das alles zu werden. Ich kann es mir nur selbst vorwerfen. Entscheidungen getroffen zu haben, die für den Moment wohl richtig und guten Gewissens waren - aber im Nachhinein einfach schrecklich und unüberlegt.
Heute gibts keine positiven Gedanken, keine motivierenden Worte. Heute möchte ich das 15jährige Mädchen in mir trösten und ihm sagen, dass es mir Leid tut. Dass ich das alles niemals so haben wollte. Dass ich es nicht mehr ändern kann. Aber dass ich wenigstens versuche, es wieder in den Griff zu bekommen. Mehr kann ich im Moment nicht tun. Ich habs versaut. Ich hab vergessen, dass ich eigentlich glücklich werden wollte.