Zerbrochen.
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- Veröffentlicht: 25. Januar 2025
We are all broken. That’s how the lights get in.
(Ernest Hemingway)
Es gab mal eine Zeit, ganz früher, fast unspürbar mit unserem Leben verflochten, da waren wir ganz. Da war nichts schwer, nichts kompliziert oder undurchsichtig. Schule, Hausaufgaben, Freundschaften. Pünktlich zu Hause sein, zu einer bestimmten Zeit schlafen gehen, unser Zimmer aufräumen. Es war so schrecklich unbeschwert. Wir konnten es nicht erwarten endlich erwachsen zu werden, selbst zu bestimmen wann wir zu Hause sind, wann wir schlafen gehen wollen oder wann genau wir aufräumen mussten. Das Leben war so unfassbar lang und es gab so furchtbar viel zu entdecken. Plötzlich vergingen die Jahre. Wir fanden uns wieder in so schrecklich viele Verantwortungen verstrickt. Miete zahlen, einen Versicherungsschutz abschließen, Geld verdienen, beruflich weiter kommen. Vielleicht wollten wir unbedingt eine Familie gründen oder Abteilungschef werden. Nichts war mehr unbeschwert, das Leben war nicht lang und abenteuerlich, sondern nur verstrickt und trüb.
Wir haben Beziehungen angefangen, die nicht gut für uns waren, haben Jobs angenommen, die uns zerstören, ein Leben ausgesucht, dass uns nicht dort hinführen wird, wo wir hinwollen.
Wir haben irgendwie Scheisse gebaut.
Wollten wir nicht glücklich sein?
Wollten wir nicht das Leben spüren, die Feste feiern wie sie fallen, so jung nicht mehr zusammen kommen und wild und frei sein?
Sind wir irgendwann vom Weg zum Glück abgekommen?
Was bedeutet Glück?
Irgendwann sind wir alle zerbrochen. Ganz egal wo wir hinwollten, der perfekte Job oder die perfekte Familie – nicht ist so gelaufen, wie wir dachten. Es war der falsche Mann, die falsche Frau, der falsche Weg, die falsche Position. Familien zerbrechen, Liebe verschwindet, Jobs werden gekürzt oder Verantwortungen gestrichen. Nichts ist unbeschwert.
Wir sind zerbrochen. Wie eine alte Tonvase oder wie ein Fensterglas, das scheppernd auf den Gehweg prallt. Wir alle mussten unsere Träume überdenken, unsere Ziele neu stecken oder nochmal ganz von vorne anfangen. Jedes Mal, wenn wir uns trauten einen kurzen Blick durch das Schicksalsfenster zu werfen und dachten wir wüssten was auf der anderen Seite auf uns wartet, kam ein Sturm und fegte uns bis nach Oz. Manchmal sogar noch weiter.
Wir versuchten unsere Wunden zu verarzten, unsere Risse zu kitten. Und doch war nichts mehr wie vorher. Manchmal haben wir gelernt, manchmal haben wir resigniert. Und doch sind wir noch immer unterwegs.
Die Suche nach dem Glück ist ein Prozess. Wir haben gelernt nicht aufzugeben. Haben gelernt, dass auch ein verstricktes, trübes Leben uns hin und wieder an den Horizont führen kann. Die kleinen Momente schätzen lernen. Anstoßen auf einen furchtbaren Tag, auch ganz ohne Festlichkeiten. Hin und wieder bricht das Licht durch unsere Risse, unsere Schatten. Es ist das Licht, das uns weiter bringt. Das unsere Wunden ein wenig heilen lässt oder zumindest erträglich macht. Es bricht Licht durch unsere Wunden. Eine Umarmung, ein Erfolg, ein leichter Schulterklopfer. Ein flüchtiger Kuss am Morgen. Ein verständnisvolles Lächeln. Ein unerwarteter Anruf. Wir sind nicht dazu verdammt für immer und ewig im trüben Sumpf unseres Schmerzes zu leben.
Aber wie könnten wir es je unterscheiden, was Schmerz oder Glück ist, wären wir nie zerbrochen. Und wie könnte das Glück sonst reinkommen, wenn nicht durch die Bruchstellen des Schmerzes.
Kapitel 5: Schmerz und Glück sind untrennbar miteinander verbunden. Wie untertauchen und Luft holen. Das eine lässt uns eine geheime Welt entdecken, das andere lässt uns überleben.