Bezaubernd.

Hin und wieder passiert es. Einfach so, aus dem Nichts, ganz plötzlich und unerwartet. Erst trotten wir noch teilnahmslos und abgestumpft durchs Leben, verlassen niemals unsere Spur und wissen oft wochenlang nichtmal genau welcher Tag eigentlich ist und auf einmal... ein Funke. Ein kleines Glitzern. Ein paar Herzschläge lang hat uns irgendwas verzaubert.

Es mag ein gutes Buch sein, ein toller Film. Vielleicht ein toller Mensch. Ein gutes Glas Wein. Ein wunderschönes Lied. Und immer wenn es passiert ist, fragen wir uns, wieso es eigentlich nicht öfter geht. Wieso können wir uns nicht öfter ein wenig bezaubern lassen. Unsere Ansprüche sind irgendwann zu hoch geworden. Keine Schlagzeile ist zu schlimm oder zu gut, kein Film ist zu romantisch oder blutig, irgendwie ist einfach nichts genug.

Wir trotten dahin, völlig unbeeindruckt von der Welt, durch die wir ziehen und wenn wir versehentlich am Mittwoch das Donnerstags-Shirt anziehen fühlen wir uns ganz seltsam und unwohl. Wie grau wir doch alle geworden sind.

 

Früher war unsere Welt bevölkert von Feen und Elfen, von Geistern und magischen Wesen. Ein Waldspaziergang war ein Abenteuer. Wenn die Sonne abends den Himmel rosa und orange gefärbt hat, waren wir fasziniert, wie das alles möglich sein konnte. Zu Weihnachten sind wir ums Haus geschlichen auf den Spuren des Christkinds und waren völlig atemlos, wenn die Glocke durchs Haus schellte und wir den funkelnden Christbaum sahen, den es für uns geschmückt hatte. Wir haben daran geglaubt, dass die Welt groß und bunt ist und uns vorgestellt, wie es werden würde sie zu erobern.

Unfassbar, dass es Flugzeuge gibt, die einen ans andere Ende der Welt bringen können, dass es Schiffe gibt, die so groß sind wie ein ganzer Wolkenkratzer. Wie irre ist es eigentlich, dass dort in Ägypten, mitten in der Wüste, riesige uralte Pyramiden stehen. In Australien gibt es Spinnen, die sind so groß wie Hunde und wie zum Teufel nochmal kann es eigentlich möglich sein, dass es in Indonesien eine Blume gibt, die nur einmal im Jahr blüht und dabei riecht wie ein totes Tier?

 

Wo ist die Begeisterung geblieben. Die Wertschätzung. Die Bereitschaft sich bezaubern zu lassen. Von Kleinigkeiten.

Es kann doch wirklich nicht immer ein Lottogewinn sein. Manchmal tut es auch ein gutes Buch. Eine ruhige Minute. Eine wiederentdeckte Leidenschaft. Eine gute Nachricht. Eine kleine Freude.

 

Die Wahrheit ist, dass uns vielleicht die Feen, Elfen und das Christkind verlassen haben, aber an ihren Platz ist eine ganz andere Faszination getreten: die Realität. Eine ganze Welt voller Realtität. Viel zu oft grausige, furchtbare, schmerzhafte Realität. Aber sind wir es uns nicht genau deshalb schuldig den kleinen, seltenen, guten Dingen Beachtung zu schenken, uns im besten Fall von ihnen einnehmen lassen, eintauchen in einen kleinen Moment des Glücks und des Zaubers.

Das neue Jahr ist schon fast ein ganzes Monat alt und wahrscheinlich haben wir gut die Hälfte all unserer Vorsätze schon wieder vergessen, aber vielleicht könnten wir uns alle an der Nase nehmen und noch einen weiteren Vorsatz mitnehmen: uns bezaubern zu lassen. Ein paar wache Momente am Tag die Augen aufmachen und sehen. Dort draußen gibt es sie noch irgendwo: Hoffnung. Freude. Liebe. Die  zwei alten Damen, die lachend und scherzend auf der Bank im Park sitzen, das alte Ehepaar, das händchenhaltend durch die Stadt spaziert. Das helle Kinderlachen am Spielplatz. Der Duft einer schönen Blume. Das Privileg zu haben ein Leben zu führen, das alles in allem so sorglos ist, dass es ein Problem ist, wenn wir am Mittwoch das Donnerstags-Shirt tragen.

 

Wir sind die Summe unserer Entscheidungen. Und heute entscheide ich, dass ich jemand sein möchte, der sich noch immer verzaubern lassen kann. Davon, dass das Muster auf meinem Toast ausschaut wie eine Karte von Spanien, dass ich doch noch eine Flasche Wein im Schrank habe, dass es dieses eine Lied gibt, dass ich drei Stunden lang in Dauerschleife anhören kann. Dass Harry Potter Voldemort besiegt hat, dass Edward und Bella für immer zusammen sein werden, dass Frodo es geschafft hat den Ring zu vernichten, dass ich versehentlich zwei gleiche Socken angezogen habe. Dass ich zu Monatsende noch Geld am Konto habe. Dass ich hier sitzen und schreiben kann, sicher und warm in meiner Wohnung.

 

Manchmal ist Glück ein kleiner Zauber, den wir vorbehaltlos in unser Herz lassen müssen. Ein kleiner Augenblick, ein paar Herzschläge lang, der uns die Magie des Lebens sehen lässt, auch wenn wir schon längst nicht mehr an Magie glauben.