Das wahrhafte Selfie.

Nun, wir leben in einer Welt, in der es um Selbstdarstellung geht. Wir kreieren uns ein Selbst, das wir gerne zeigen und publizieren wollen, wir möchten der Öffentlichkeit ein Stück von uns geben. Wir machen Bilder und denken, dass wirklich jeder sie unbedingt sehen muss, wir halten die Menschheit darüber am Laufenden was wir machen und wie es uns geht. Ja, wir schreiben Blogs, weil wir denken wir hätten etwas zu sagen, das irgendjemand intressiert.

Tut es das? Liest du das gerade, weil du denkst ich hätte etwas mitzuteilen, das dir weiterhilft? Oder sind wir einfach nur befreundet und du machst es mir zuliebe?

 

Wir verwalten unsere Konten auf Facebook, haben Instagram-Accounts und denken wirklich, dass hinter all den Likes, die wir sammeln etwas steckt. Aber in Wahrheit ist es nur ein Klick. Oder ein Doppelklick. Es ist nicht das Leben. Es ist eine Theorie, dir wir uns selbst erschaffen haben: wer die meisten Likes bekommt, der macht es richtig. Der hat ein gutes Leben. Der ist jemand.

 

Kann ich auch jemand sein, ohne dass 1000 Leute mein Selfie liken? Kann ich jemand sein, ohne Facebook Account, ohne der Name hinter "In einer Beziehung mit"? Was ist passiert mit meinem aufregenden Leben? Kann es trotzdem noch aufregend sein, auch ohne Partyfotos zum Liken und lustigen Posts über das vergangene Wochenende?

 

Eigentlich ist das doch alles nur gestellt. Wir machen ein Foto von uns selbst, in der richtigen Pose, vom richtigen Winkel, wir lassen Filter drüber laufen, kontrollieren unseren Gesichtsausdruck.. Wir denken wir publizieren uns selbst, dabei geben wir der Öffentlichkeit doch nur einen Abdruck unseres Selbst, den wir absichtlich geschaffen und vorbereitet haben. Wo sind die Selfies, wenn du weinst? Hast du schonmal ein Selfie gemacht, während du in der Badewanne versucht hast dich angestrengt NICHT zu ertränken? Hast du dich schonmal fotographiert, während du 24 Stunden im Bett lagst, ungeschminkt und ungeduscht und nicht mehr aufhören konntest zu weinen? Wo ist das Foto, das deinen ganzen Schmerz einfängt, weil du das Gefühl hast alles verloren zu haben? Wo ist dein Selbst, wenn dir die Wahrheit wie Schuppen vor Augen fällt: Selfies sind nicht die Lösung. Selfies halten uns keinen Spiegel vor Augen. Sie zeigen uns nicht wer wir sind, was wir tun sollten, wohin wir gehen müssen. Sie fangen nichts ein - sie können kein Leben beschreiben.

 

Das einzige und wahrhafte Selfie, das wir machen können, ist uns einzugestehen, dass nichts so ist wie es sein sollte. Dass kein Filter dieser Welt die Hässlichkeit der Traurigkeit aus deinen Augen verbannen kann. Dass kein Like dieser Welt deine Welt zusammenhalten kann. Mach ein Selfie! Schau in den verdammten Spiegel, ungeschminkt und ungeduscht und versuche dabei dich schön zu finden! Schaffst du es? Schaffst du es, dich für dich selbst zu begeistern ohne Filter, ohne Glättung, ohne dem Verstellen der Sättigung? Kann dein Leben auch ohne Farbkorrektur bunt sein?

 

Natürlich sollt ihr Selfies machen. Natürlich sollt ihr euch - wenn auch künstliche - Augenblicke erschaffen, in denen ihr glücklich seid. Kämpft um Likes. Versucht der Welt zu zeigen, dass es euch gut geht. Aber irgendwann wird der Moment kommen... da ist euer Selfie nicht mehr bunt und fröhlich. Da schaut ihr in den Spiegel und wisst, dass es um etwas anderes geht. Und dass man vielleicht manchmal ein Selfie braucht, das grau und ehrlich ist - um sich hinter den ganzen Filtern nicht selbst zu verlieren.

 

2015 04 06 130342

 

Kein Filter. Kein aufregendes Leben. Nur ich. Ohne Likes und ohne Herzchen. Kann ich mich so gern haben? Kann das irgendjemand? Es geht um Selbsterkenntnis. Und dem Wunsch darum zu kämpfen. Der Wunsch, sich ein wahrhaftes Selfie zu erkämpfen, das man gern haben kann.