Zimmer 429

Im Zimmer 429 stehen zwei Betten, ein Tisch und drei Sessel. Es gibt einen Balkon. Gleich neben Zimmer 429 ist der Raum für die Kunst- und Musiktherapie und das Raucherzimmer. Die Wände sind gelb angemalt und die meterlangen Vorhänge bunt gestreift. Am Fußende vom Bett am Fenster steht mit rotem Filzstift geschrieben "Fr. Schmid". Ja, anscheinend gehöre ich jetzt hierher. Zimmer 429. Das Bett am Fenster.


Nach sieben, langen, guttuenden Stunden Schlaf erschreckt mich diese Tatsache nicht mehr. Es ist eine Chance. Es ist meine Chance. Meine Chance, auf Null zu kommen. Von minus elftausend auf Null zu kommen und dann durchzustarten. Mein Glück nicht mehr von anderen Dingen abhängig zu machen. Keine Bedingungen mehr ans Glück zu stellen. Sondern es nehmen, wenn ich es bekommen kann - ohne mich dabei umzusehen, wer auch noch etwas davon brauchen könnte. Es ist eine Möglichkeit zu sagen: nach 25 Jahren unerbittlichen Kampfes, habe ich nun die Chance einmal die Leichtigkeit des Lebens kennenzulernen.


Zimmer Nummer 429 ist mein Zufluchtsort. Ein geographischer Punkt auf der Landkarte des Lebens, der keine Bedingungen an mich stellt. An dem ich sein kann wie ich im Moment bin. Schrecklich traurig, komplett überfordert, total am Ende. Hier muss ich nicht funktionieren. Hier funktioniert alles andere - und nimmt mich dabei mit. Zimmer 429 macht mir keine Angst mehr. Es ist eine Chance. Eine Chance wieder ich zu werden. Es ist eine Chance durchzubrechen - diese Mauer, die ich nicht durchbrechen kann.


Jeder Tag ist der erste vom Rest deines Lebens. Und manchmal beginnt er eben im Zimmer 429.